Faszination Handwerk - Warum es innovativ ist, vergessene Handwerkstechniken zu lernen

Faszination Handwerk - Warum es innovativ ist, vergessene Handwerkstechniken zu lernen

Pechern ist ein aussterbendes Handwerk. Der Pecher sticht Schwarzkiefern an, gewinnt dessen Harz und fertigt daraus einen natürlichen Anstrichstoff.

«Pecher gibt es höchstens noch zwei, drei in ganz Europa», sagt Philipp Kuntze. Der Geschäftsführer des Zentrums Ballenberg im Freilichtmuseum Ballenberg muss es wissen: Er vertritt dort das Handwerk und bietet dazu verschiedene Workshops an.

Handwerke verschwinden

Pechern ist längst nicht das einzige Handwerk, das kaum mehr ausgeübt wird. Eine Studie der Unesco aus dem Jahr 2008 belegt: Über die Hälfte der 307 Handwerke, die in der Schweiz vor 1950 getätigt wurden, sind verschwunden.

«Gerade auf dem Bau gibt es viele Handwerke nicht mehr», sagt Kuntze. Zum Beispiel der Kalkbrenner: Er hat aus Kalk ein natürliches und nachhaltiges Baumaterial gewonnen. Heute könnte solch altes Handwerk beispielsweise zur Renovierung historischer Gebäude wieder eingesetzt werden.

Immaterielles Kulturerbe

Handwerkexperte Philipp Kuntze hat es sich zum Ziel gesetzt, vergessenes Handwerk aufzustöbern, zu dokumentieren und Möglichkeiten zu finden, es am Leben zu erhalten.

Dabei geht es ihm nicht bloss ums Konservieren dieser Techniken: «Da Handwerk immaterielles Kulturerbe ist, wäre dies gar nicht möglich. Sonst müsste ich die Handwerker weltweit einfangen, in meinem Keller sperren, das Handy wegnehmen und alle Kontakte in die Aussenwelt verhindern.»

Immateriell, sagt Kuntze, heisse eben auch, «dass wir leben und alles um uns aufnehmen.» Das Ziel sei, Handwerk bekannt zu machen, aufzuzeigen, welche Vorzüge es habe und was damit möglich sei.

Faszination Handwerk - Warum es innovativ ist, vergessene Handwerkstechniken zu lernen

Internationales Handwerk-Netzwerk

Entscheidend dabei sei die Kommunikation. Hier setzt Philipp Kuntze an: Mit seiner Organisation World Crafts, mit der er internationales Handwerk vernetzen will.

Im besten Fall lasse sich verschiedenes Handwerk kombinieren: So kann Holz zum Beispiel wasserdicht und haltbar gemacht werden, indem man hiesiges Handwerk mit einem asiatischen kombiniert: «Gedrechselte Holzgefässe, die mit japanischem Urushi-Lack überzogen werden, kann man sogar in der Waschmaschine waschen», sagt Philipp Kuntze

Fäden aus dem Bananenbaummark

Eine weitere Möglichkeit sei, alte Handwerkstechniken mit neuem Material zu verbinden. Zum Beispiel für die Textilindustrie: «Wir tragen vor allem Baumwolle und synthetische Produkte, vielleicht noch etwas Wolle, Seide und Flachs», so Kuntze. Aber es gebe über 250 verschiedene Fasern, die man spinnen könnte.

«Aus dem Mark eines Bananenbaumes lässt sich zum Beispiel ein Faden spinnen, den man zu einem hochtechnisierten Gewebe verarbeiten kann.» Wie man solche Spezialfäden verarbeite, wissen nur noch wenige Handwerkerinnen und Handwerker. Deswegen sei es wichtig, alte Handwerkstechniken ins Heute zu retten.

Die Kombination macht's

Philipp Kuntze liegt es fern, Handgearbeitetes gegen Industriegefertigtes auszuspielen: «Vielmehr ist eine Kombination sehr spannend. Nur die Handarbeit im Gegenzug zur Industrie- oder zur Maschinenarbeit zu wollen ist zu romantisch. Aber dass wir gewisse Techniken erlernen und diese mit Hilfsmitteln umsetzen, das ist das Spannende, das auch Innovationen generiert.»

Eine Handwerk-Trüffelschwein

Manchmal wird auch Philipp Kuntze zu einer Art Trüffelschwein und stöbert alte Handwerkstechniken auf. So sah er einmal ein altes Tuch und konnte sich partout nicht vorstellen, wie es gefertigt wurde.

Also hat er angefangen zu recherchieren: «Schliesslich fand ich heraus, dass es aus Uganda stammte und ein Königstuch war.»

Auch die Fertigungstechnik fand er heraus: Die Rinde eines Gummibaums wurde auf eine bestimmte Handwerkstechnik so lange geschlagen, bis ein dünnes Tuch entstand. Verwendet haben diesen kostbaren Stoff die Könige. Altes Handwerk wiederzufinden ist manchmal tatsächlich: königlich.